Das Thema
Schweizer und internationale Künstler sind eingeladen, sich mit lebendigen Traditionen – aus Freiburg oder anderswo – zu beschäftigen, sie zu erforschen und zu befragen, sie sich spielerisch anzueignen und sie in künstlerischen Formaten neu zu interpretieren. Das kulturelle Erbe beschränkt sich nicht auf Gebäude und Objekt-Sammlungen. Es beinhaltet ebenfalls Traditionen, handwerkliches Wissen und Können oder lebendige Ausdrucksformen. Die UNESCO fasst das immaterielle Kulturerbe in fünf Kategorien zusammen: mündliche Überlieferungen, darstellende Künste, soziale Praktiken, Natur und Universum, traditionelles Kunsthandwerk. Eine lebendige Tradition wird seit mindestens zwei Generationen übermittelt, entwickelt sich beständig weiter und vermittelt denen, die sie praktizieren, ein Gefühl von Identität und Kontinuität.
Welche Rolle spielen Geographie, Religion aber auch politische Agenden bei der Entstehung, der Wiederbelebung oder Entwicklung von Traditionen? In welcher Weise trägt die Teilhabe an sozialen und kulturellen Praktiken zur Konstruktion von Identität bei? Welche lebendigen Traditionen sind gerade erst am Entstehen und noch gar nicht als solche bewusst? Und wie könnten lebendige Traditionen einer von Mobilität und Migration geprägten Gesellschaft von morgen aussehen?
Globale Migrationsbewegungen sind heute eine Tatsache: lokale Identitäten weltweit sind in Bewegung, und mit den Migranten gelangen auch deren Traditionen an neue Orte, wo sie bereits vorhandenen lokalen Traditionen begegnen. Dies schlägt sich auch in Freiburg nieder. Der Kanton wächst stark und hat die jüngste Bevölkerung der Schweiz; 20 Prozent seiner Bewohner sind Ausländer, die 160 verschiedene Nationalitäten haben. Dies bedeutet eine konkrete Herausforderung: Wie begegnen sich kulturelle und soziale Praktiken der „neuen“ und der „alten“ Freiburger?
Betrachtet man Identität und Kultur nicht als etwas Statisches, sondern als Prozesse, die sich aus Erzählungen und Widersprüchen, Kreolisierungen und Konfrontationen, Vermischungen und Separierungen immer wieder erneuern und verändern, entdeckt man ein ungeheures Gestaltungspotential für die Gesellschaften von morgen.
In einer Gesellschaft der zunehmenden Zersplitterung in verschiedenste Paralleluniversen kultureller Zugehörigkeit sucht das Belluard Festival nach ungewöhnlichen Verbindungen, überraschenden Kurzschlüssen und kultur- und generationenübergreifenden Formaten.
BEISPIELE VON LEBENDIGEN FREIBURGER TRADITIONEN
In den französischsprachigen Bezirken werden jedes Jahr Theaterstücke in frankoprovenzalischem Dialekt (Patois) aufgeführt. Stilisierte oder traditionelle Folkloretänze praktizieren Gruppen in regionaler Tracht. Fast ein Freiburger auf 35 singt im Chor: Die Freiburger Chorvereinigung zählt etwa 7200 Sänger, die in 234 Ensembles aktiv sind. Der Bezug zum Mittelalter ist in der Freiburger Vorstellungswelt sehr präsent, in den Gedenkveranstaltungen zur Murtenschlacht zum Beispiel oder den Legenden und Erzählungen über die Grafen von Greyerz. Aus diesem Universum stammt auch die Figur des Chalamala, Hofnarr der Greyerzer Grafen und Vorläufer des Typus des Randständigen, der den Mächtigen seine Wahrheiten sagt und den man auch heute noch in Freiburg antrifft. Der Schutzpatron von Freiburg, der Heilige St. Nikolaus wird an jedem ersten Samstag im Dezember in einem Umzug durch die Stadt von zehntausenden Freiburgern gefeiert. Im Herbst und an diversen Daten vereint die Chilbi (Bénichon) die Freiburger zu reichhaltigen Mahlzeiten und Festen. Die Tradition der Pilgerfahrten ist in der Region Freiburg noch sehr lebendig, und auch der Bezug zur Natur kann zu den lebendigen Traditionen gerechnet werden. Nicht nur in Freiburg, aber auch hier ist das Gesundbeten noch sehr verbreitet.
Eher neuere Traditionen sind vielleicht die Rallye der Madonna der Kentauren, bei der hunderte Motorradfahrer in die Freiburger Kathedrale kommen um ihre Maschinen segnen zu lassen, oder auch die Salons de Modeste die jeweils im Februar organisiert werden und bei denen sich Unbekannte in etwa 20 Freiburger Wohnzimmern überall in der Stadt besuchen.
Die Webseite der Freiburger Lebendigen Traditionen